Unser Leben mit Oksana und Vera – mein Tagebuch
Samstag, 29.10.22 – Ratlosigkeit
Seit Juni habe ich hier nichts mehr geschrieben. Und auch heute begnüge ich mich mit wenigen Worten.
Unsere beiden Schützlinge haben in Köln keine Wohnung gefunden, nachdem die für sechs Monate bereitgestellte leider aufgegeben werden musste. Nun sind sie erstmal zu einer ukrainischen Freundin nach Berlin. Der Plan ist: Zurück zur Familie nach Kiew.
Gestern haben wir uns am Hauptbahnhof verabschiedet. Das Leben muss und wird weitergehen. Aber wie? Vieles, was in diesem Jahr passiert ist, erscheint mir surreal. Ich werde versuchen, es hier weiter zu beschreiben. Versprechen kann ich es nicht.
Montag, 13.6.22 – 110 Tage nach Kriegsbeginn
Es ist viel passiert und ich hatte keine Worte. Auch heute fallen sie mir schwerer als sonst, nicht nur, weil ich privat angeschlagen bin. Aber gleich drei sehr unterschiedliche Ereignisse veranlassen mich, nun wieder zu schreiben. Erstens hat Vera heute zum 1. Mal so etwas wie eine Vor-Kita besucht. Die Kleine hat sich, mehr oder weniger, „vorgestellt“ und die beiden Betreuerinnen waren von ihr und Mama Oksana sehr angetan. Ich werde darüber berichten, wenn sie dort angekommen ist. Schon jetzt: Ein wunderbarer Platz, den die Dietrich-Bonhoeffer-Kirche da für Kinder geschaffen hat!
Zweitens sind es heute ganze 110 Tage nach Kriegsbeginn. Ob 99, 100 oder jetzt 110 – alles ist gruselig lang und auch auf mich wirken solche Zahlen. Ich bin immer wieder wie benommen, wenn ich sehe, wie lange dieser Kampf nun dauert und ich sehe die müden Gesichter „meiner“ Ukrainerinnen. Und natürlich steht gerade und vor allem der ukrainische Präsident unter Druck – und hat das heute auch dem ZDF in einem Interview mit Selenskyi vor Ort in Kiew mitgeteilt. Ich schaue bekanntermaßen wenig Nachrichtensendungen am späten Abend; hier war ich heute aber richtig, als ich endlich mal wieder ins Heute Journal schaltete.
Der dritte Grund ist aber viel persönlicher, denn als ich mich mal wieder auf Facebook umsehe, was dort die beiden Ukrainerinnen, die bei meiner Schwester und ihrem Lebensgefährten wohnen, schreiben, bin ich zutiefst gerührt. Nicht, weil ich es nicht wüsste. Ich weiß ja, was ich für eine wunderbare Schwester habe!! Aber dass Irina das so schreibt, das ist noch mal etwas anderes. Irina, die ich nur einmal gesehen habe, die ich aber sofort – genauso wie ihre Tochter – SOFORT total sympathisch fand. Ihre leuchtenden roten Haare, ihre aufgeweckten Augen, ihre Dynamik trotz all der schrecklichen, oft lähmenden Ereignisse. Denn Irina hat bei meiner Schwester und Oli ein Zuhause gefunden und das beschreibt sie so:
Sonntag, 29.5.22 – Trotz allem
Manchmal kaufe ich mir die Welt am Sonntag. Meistens merke ich dann schnell, wie krass mich dieser Fokus auf bad news irritiert, heute wieder sehr. Ich könnte jetzt allein all die schlechten Überschriften vorlesen, die mich beim reinen Durchblättern schon „anspringen“: Alles ist schlecht, macht Angst, klappt nicht. Furchtbar. Wer das liest, fühlt sich schlecht. Dabei bin ich sicher, dass so vieles eben doch funktioniert, Mut macht und gut ist. TROTZ ALLEM.
Und so finde ich dann auch wenigstens ein paar Artikel, die nicht vorrangig „runterziehen“. In Zuhause auf Zeit berichten zwei Redakteurinnen beispielsweise über ein Ehepaar, das in Brandenburg gleich 40 Ukrainer*innen ein Dach über den Kopf geschaffen hat. Leider wird aus den Gesprächen, die die Zeitung dort mit Ukrainerinnen geführt hat, auch meist Hoffnungsloses zitiert…
Doch alles in allem zeigt der Bericht, dass es (auch) dort gut klappt.
„Das Leben, man hofft es, wird weitergehen, irgendwie“ lautet der Schlusssatz – und das ist doch schon etwas, auf das sich aufbauen lässt! Ich werte es als ein gutes Zeichen. Denn natürlich gibt es auch in meinem ukrainischen Umfeld einen Grundtenor, der von Traurigkeit geprägt ist. ABER:
Trotz allem – die Stimmung ist bei uns gut. Nach wie vor lachen wir viel und diskutieren Probleme so, dass am Ende etwas herauskommt, das Hoffnung gibt. Und so wundert es mich auch nicht, dass die 16jährige Alisa auf meine Frage, wie es ihr nach drei Monaten in Köln geht, positiv antwortet:
„Also, das Leben in Deutschland gefällt mir. Jetzt bin zufrieden damit, wie wir wohnen. Ich mag unsere neue Wohnung, meine Schule, meine deutsche Freunde, meinen deutschen Unterricht. Ich mag meine Plans über meine Zukunft in diesem Land, und ich hoffe, es ist möglich für mich hier zu studieren.“
Dabei verschweigt sie mir NICHT, dass sie ihre Heimat vermisst und wie gern sie – nach drei Monaten – ihren Vater wiedersehen würde. Aber das stellt weder sie noch ich in den Fokus. So hat alles seinen Platz. Trotz allem. Und vor allem: sie schreibt das fast fehlerlos, in deutsch! Nicht nur, dass sie toll englisch spricht, nein:
Alisa hat es in drei Monaten geschafft, nicht nur deutsch zu verstehen und zu sprechen: Sie kann es sogar schreiben!
Ich habe für das Zitat oben nur ganz wenig korrigieren müssen. Ist das nicht stark? Ja, das ist es!
Donnerstag, 26.5.22 – Eins
Am 1. Geburtstag seiner Tochter nicht dabei zu sein, ist ein harter Moment. Veras Papa Vitalii hatte genau diesen gestern in Kiew. Als er uns über WhatsApp „zugeschaltet“ ist, höre ich meinen Mann Christoph sagen: „Wir würden alles für deine Tochter tun!“ Das trifft es genau. Denn Vitalii hatte sich bedankt, dass wir am 1. Geburtstag seiner Tochter Vera ein kleines Fest machen. Dass der Tag vor allem auch für Mama Oksana schön wird, dafür gab es viele Helfer*innen:
Alisa, die ein wunderbares Video über „Ein Jahr Vera“ gezaubert hat. Olga, die zwei schöne Luftballons und eine „Happy Birthday“-Kette zum Aufhängen besorgt hat. Paul, unser Sohn, der einen Zitronenkuchen in Form einer 1 gebacken hat. Christoph, der jede Party bei uns unterstützt. Die Gäste, die alle gerne kommen, um Oksana und Vera zu beglückwünschen.
Den Nachmittag verbringen wir auf einem Erlebnis-Bauernhof. Der magischste Moment entsteht, als Oksana, Vera und ich in einen Stall gehen und sich dort ein Pfau befindet, der gerade sein schönstes Rad schlägt. WOW!
Es ist ein wirklich schöner Tag. Paul sagt am Tag davor im Auto, als ich ihn und einen Freund im Auto habe: Morgen habe seine Halbschwester Vera Geburtstag. Wie schön, ihn das sagen zu hören. Er ist stolz auf seine ukrainische Freundin Vera. Was will man mehr vom Leben?!
Montag, 23.5.22 – Über die Wehmut
Morgen dauert der Krieg DREI Monate. Mittlerweile kursieren auch in Talk Shows Begriffe wie „Abnutzungskrieg“ und ich lasse mich aufklären, dass damit das gemeint ist: Eine Materialschlacht oder auch ein Ermüdungskrieg, also begrenzte, länger anhaltende militärische Konflikte, „in dem die beiderseitigen Verluste die möglichen oder tatsächlichen Gewinne weit überschreiten“, wie Wikipedia weiß.
Das kommt auch bei uns an. Ich selbst bin zwar nicht müde, aber ich spüre die Müdigkeit, die nachlassende Energie „meiner“ neuen Freundinnen. Das Baby wächst und gedeiht! Das ist die gute Nachricht. Aber die Lage der Mütter – ich denke aller ukrainischen Mütter, egal wo sie sind – wird komplexer, weil wir alle merken, dass es nicht schnell vorbei sein wird. Es dauert (viel?) länger und die Familien leben sich auseinander, wenn sie sich getrennt haben. Wenn sie in der Ukraine geblieben sind, werden die Verhältnisse vor Ort heftiger. Beides stimmt traurig, sehr sogar.
Was tun? Verständnis zeigen. Reden. Und feiern, wenn es Anlässe gibt. Vera wird am 25. Mai ein Jahr alt. Da haben wir gestern einen Plan gemacht und werden Mama und Geburtstagskind überraschen. Und am Vatertag werden wir auf Einladung meiner Freundin Heike den 1. Familiengottesdienst im neuen Veedel mitmachen – ein neuer Plan. Denn dort in der Gemeinde kann man sich auch gut vernetzen.
Mir hat gestern bei Anne Will die mittlerweile Grünen-Politikerin Marina Weisband sehr gut gefallen. Die ehemalige Piraten-Politikerin, selbst in Kiew geboren, hat sehr dafür geworben, sich nicht mit diesem Krieg abzufinden und wünscht sich von unserer Bundesregierung, besonders von Kanzler Olaf Scholz, eine klare Linie. Die Ukraine müsse gewinnen – solch klaren Worte vermisse sie aus Scholz‘ Mund, beklagte Weisband. Und wer das wolle, müsse das an Waffen liefern, was dringend gebraucht würde – auch da war sie sehr klar.
Wir leben von Tag zu Tag und, ja, wir leben gut hier in Köln, gar keine Frage. Wir tun vieles, um zu verdrängen, was die Realität im Osten hergibt. Es ist richtig für mich, auch weiter das Glas Wasser halb VOLL zu sehen, nicht halb leer. Aber ich verstehe jede/n gut, der/die zwischendurch ermüdet. Es hat sich ein Tropfen Wehmut dazu gemischt…
Samstag, 21.5.22 – Ablenken bei Saturn
Es passiert weiter viel. Wir treffen uns, ob zum Besorgen letzter Haushaltsgeräte wie der dringend benötigte Kühlschrank, oder ob wir gemeinsam zum Sozialamt gehen. Nach wie vor haben wir keinen Termin beim Ausländeramt bekommen können, aber ich habe es schriftlich, dass wir uns deshalb nicht sorgen brauchen. Das ist gut, das gibt Sicherheit. Und immer schön ist es, wenn unser Sohn dabei sein kann, z.B. gestern spontan, weil wegen der Unwetterwarnungen die Schule früher aus ist. Vera ist dann immer schön abgelenkt 🙂
Beim Sozialamt treffen wir meist auf sehr kompetente wie freundliche Menschen. Und natürlich hilft es ungemein, wenn Geflohene deutsche Begleiter*innen an der Seite haben. Wenn neben uns am Schalter eine sechsköpfige Familie versucht, ihre Anliegen klarzumachen, ist das eine andere Sache, als wenn ich mit der überaus hilfsbereiten Sachbearbeiterin zwischen den Zeilen sprechen kann.
Mein Tagebuch hat ja, neben der für mich selbst wichtigen Dokumentation, vor allem ein Ziel: Anderen Menschen zu verdeutlichen, wie gut es ist, anderen zu helfen. Wieviel zurückkommt, wieviel möglich ist, wieviel wir alle lernen. Das ist enorm. Und wichtig. Und wenn mich Oksana morgens, nachdem sie die Orkanmeldungen noch vor mir gelesen hat, anschreibt und fragt, ob mein Mann auf Dienstreise im Norden Deutschlands alles gut überstanden habe, freue ich mich über soviel Empathie. Und hoffe weiter, dass die Menschen in den Kriegsgebieten es auch bald überstanden haben!
Mittwoch, 18.5.22 – Zwei Hähnchenbrustfilets
Heute war wieder Full House – Besuch aus der Ukraine. Ich wurde erneut mit einem Mittagessen verwöhnt und Vera hat sich wieder mit der Tischtennisplatte beschäftigt. Einmal Ball, immer Ball. Am meisten freut sie sich immer noch, wenn unser Sohn den Garten betritt. Dann gluckst sie glücklich und Mama sagt: „This is love.“
Oksana hatte vorher eine traurige Geschichte erzählt, die ihr eine Freundin, die in Berlin untergekommen ist, erzählt hatte. Denn die hochschwangeren Frau, die nach Deutschland hat fliehen können, macht sich große Sorgen um ihre Mutter, die in der Ukraine im Koma liegt. Das sind solche Geschichten, wo man denkt: Um Himmels willen, wie schrecklich ist das? Denn natürlich kann die Freundin jetzt nicht zurück, wo sie doch ein Baby erwartet…
Damit möchte ich aber nicht schließen! Sondern noch von den Erfolgen berichten, die die Frauen hier im Deutschunterricht machen. Die 16jährige Alisa lernt sogar neben ihrer Schule fleißig deutsch, aber auch die Mütter sind dabei. Olgas Lieblingssatz ist „Die Vögel singen“… und Alisas Mutter hat heute im Supermarkt an der Fleischtheke beeindruckt, sagte sie doch: „Zwei Hähnchenbrustfilets, bitte.“
Die haben wir später auch gegessen, klein geschnibbelt im beliebten Salat Olivier. Und natürlich hat „meine“ Oksana davon gleich eine große Tupperdose mehr gemacht, damit unser Sohn ihn auch genießen kann… This is love… 🙂
Sonntag, 15.5.22 – Kaum weg, wieder da
Der Umzug hat super geklappt. Viele helfende Hände, jeder mit seiner Kompetenz. Und am 1. Abend echter Schmerz, nicht in den Knochen, aber im Herzen.
Wie schnell sich Menschen aneinander gewöhnen, vor allem eben, wenn „die Chemie stimmt“. Und der Humor passt. Oksana und ich können uns super die Pässe zuspielen. Wie sagt man so schön? Frauen lästern nicht, Frauen kommunizieren 🙂
Und der 1. Besuch ließ auch nicht lange auf sich warten – schon Samstag waren sie wieder da. Unser Sohn und zwei Jungs aus der „Straßengang“ erwarteten Vera zu einer kleinen Erfrischung im Garten, plus Tischtennisspiel. Denn Bälle liebt Vera besonders, egal wie groß oder klein sie sind. Mamas Traum vom Ballett ist momentan ein Traum, Papa Vitalii liegt da mit seinem Fußballeifer klar vorne…
Und am Abend ging’s in Gittes Garten. Die Gasteltern von „Oksana 2“ hatten zur ESC-Party geladen. Ich gestehe, ich schaue das Spektakel öfters, durchaus mit gemischten Gefühlen, aber irgendwie ist es eine schöne Tradition. Jetzt zusammen mit unseren neuen Freunden, bei Würstchen & Kölsch, war es richtig nett. Das Leben geht musikalisch eben besser weiter.
Übrigens: Warum die vier Ukrainerinnen mit ihren Kindern überhaupt hier in Köln Widdersdorf sind, erklärt sich schnell: Alles lief über Yulia – die blonde Krankenschwester (mittig im Bild hinter den zwei Jungs) kommt ursprünglich aus der Ukraine. Sie war also der Erstkontakt für die anderen und wir hatten einfach Glück, gefragt zu werden, ob unser Zimmer noch frei ist. War es! 🙂
Freitag, 13.5.22 – Sachen suchen, finden und einbauen
Die letzten Sachen sind gepackt, zum 1. Mal habe ich auch Oksanas Rucksack gesehen, mit dem sie aus Kiew in Deutschland ankam. Ihn haben wir eben im Auto verstaut, mit dem wir zur neuen Wohnung fahren werden. Oksana und Vera wohnten ja zunächst bei einer anderen Familie, bevor sie am 18. März, auch ein Freitag, zu uns kamen. Nun steht der Einzug in die neue Wohnung unmittelbar bevor: Heute werden die Betten aufgebaut, die Küche angeschlossen und viele andere kleinere Dinge erledigt. Alles ist gut vorbereitet und ohne die Hilfe völlig fremder Menschen wären wir nicht soweit wie jetzt.
Dazu zählen Sabine Frömel und Bayrem – letzteren haben wir erst gestern kennengelernt. Sabine ist eine Freundin einer Freundin – so läuft es ja immer beim Netzwerken, eine kennt die andere. Sabine arbeitet mit Leib und Seele im wunderschönen Laden „Die Sachensucher“, den ich bislang gar nicht kannte! Obwohl er nur wenige Kilometer von uns entfernt ist. Wie sagte meine Freundin Nici kürzlich: „Was wir alles kennenlernen, seitdem die Frauen bei uns sind!“
Die Sachensucher sind eine Kooperation zwischen dem Lotsenpunkt des Kirchengemeindeverbandes Brauweiler – Geyen – Sinthern und der Ehrenamtskoordination des Sozialamts der Stadt Pulheim. Das werde ich mir näher anschauen, denn es hat absolut super geklappt.
Sabines Initiative haben wir es zu verdanken, dass jetzt nicht nur Küchenmöbel da sind, sondern diese auch geliefert wurden und aufgebaut werden: Dafür ist Bayrem zuständig, über den ich auch noch schreiben werden. Denn uns allen war gestern bereits klar: Ein besonderer Mensch, über den es sicher viel zu erzählen gibt…
Mittwoch, 11.5.22 – Curry meets Rosmarin
Ja, wir machen auch Pflanzenkunde… Gestern Abend sitzen wir bei uns im Garten und schauen, was wieder neu blüht. Ich liebe es, wenn Altes neu sprießt. Auch meine Currypflanze entwickelt sich gerade sehr schön und ich erkläre Oksana und Olga, wie schön gelb ihre Blüten bald strahlen werden.
Sie schauen mich ungläubig an. „Kein Rosmarin?“, fragt Oksana. Nein, aber ähnlich sieht die Pflanze ihm, das stimmt. In meinem Kräuterbeet finden wir dann auch Rosmarin – und Oksana muss sehr lachen. Dazu müsst Ihr wissen, dass Oksana nicht nur gern kocht, sondern auch gut im Backen ist. Vielleicht entwickelt nicht jede Mutter dieses „Gen“, wenn kleine Kinder im Haus sind, dass „man“ jetzt mal backen sollte… Ich erinnere mich jedenfalls noch gut an die Situation 2011, als mich meine Schwester kurz vor dem 1. Geburtstag unseres Sohns fragt: Ich würde doch sicher einen Kuchen für ihn backen, oder? Hab ich dann, aber in meinen Genen liegt das Backen nicht. Obwohl ich seitdem jedes Jahr eine neue Kuchen-Kreation wage …
Zurück zum Curry – Oksana hat es kürzlich mal wieder genutzt, und zwar tatsächlich beim Backen. Denn ich nenne sie meine „Cheesecake-Expertin“ :-), schon dreimal hat sie einen sehr leckeren Käsekuchen gebacken. Und zum verzieren kommen nicht nur viele Beeren drauf, sondern eben auch… Genau, ein bisschen Curry.
Apropos: Viele wundern sich, dass das hierzulande überhaupt wächst. Und sicher habe ich es nicht absichtlich mal gepflanzt… es kam zu mir, wie so vieles, was sich im Nachhinein richtig anfühlt.
Noch richtiger aber fühlt es sich an, dass Oksana und Vera bei uns gelandet sind – und ich freue mich, wenn sie nach dem Umzug ganz oft weiter unsere Gäste bleiben. Mit und ohne Kuchen 🙂
Montag, 9.5.22 – Grüße aus Frankfurt
Neben meiner „neuen“ Familie gibt es noch eine Familie mit hessischen Wurzeln, die mir sehr am Herzen liegt. Seit drei Jahrzehnten sind wir bekannt und wären nicht eine schlimme Erkrankung und Corona dazwischen gekommen, hätten wir uns längst wieder gesehen. So mussten wir Jahre warten, aber am Samstag war es soweit, Treffpunkt: Der Römer in Frankfurt. Deshalb konnte ich auch – meine sorella war natürlich auch wieder dabei – die beiden Ukrainerinnen kennenlernen, die bei Oli und Sabine wohnen. Und natürlich wollte ich Irina & Alisa und „meine“ Frauen in Köln zusammenbringen.
Voila… schnell waren die Videos gemacht, eins in Frankfurt vor dem Bücherregal meiner Schwester, eins im Garten im Kölner Westen. Denn Olga und Oksana haben natürlich gleich geantwortet. Interessant, wieviel schwieriger es war, in Frankfurt für die 15jährige einen Schulplatz zu ergattern. Das war in der Stadt am Kölner Dom einfacher!
Dafür ist es in Köln unglaublich schwer, bei der Ausländerbehörde einen Termin zu bekommen, um die Registrierung der Ukrainer*innen abzuschließen. Ich habe nicht gezählt, wie oft wir die Seite geklickt haben, um dort fündig zu werden. Immer wieder heißt es:
Nichts frei, man solle täglich ins Buchungssystem schauen. Das tun wir nun seit 4 Wochen!! So sehr ich verstehen kann, dass es Engpässe gibt, aber irgendwie muss es doch weitergehen, oder?
Donnerstag, 5.5.22 – Schritt ins neue Leben
Kennt Ihr Sozialkaufhäuser? Laut Wikipedia „eine erschwingliche Einkaufsmöglichkeit für Gebrauchsgüter, Haushaltswaren und Textilien“. In Köln kannte ich das BfO Basislager, das sich „Kölns Adresse für 2. Hand“ nennt – 2021 hatte ich dorthin viele Sachen abgegeben. Denn so bekommt das, was man nicht mehr braucht, eine zweite Chance und Menschen mit geringerem finanziellem Polster können zum kleinen Preis etwas kaufen. Eine sehr schöne Idee, finde ich.
Nun war ich also wieder da – und wir wurden gleich fündig. Denn: Oksana und Vera werden uns räumlich verlassen. Sie haben das Glück, dass ein anderer Gastvater eine sehr schöne Wohnung gefunden hat, in die sie mit ihrer Freundin und deren Tochter ziehen können.
Ich weiß es schon ein paar Tage, deshalb kann ich es jetzt aufschreiben – aber es fühlt sich zweischneidig an.
JA. Es ist der nächste wichtige Schritt für sie! Und NEIN, wir sind so eng mittlerweile, dass wir auch sehr traurig sein werden. Eben noch saß unser Sohn am Abendbrottisch, Vera auf dem Schoß… und in einer Woche soll der letzte Abend sein??
Wir werden einen guten Kompromiss finden!! Uns viel gegenseitig besuchen und natürlich weiter füreinander DA SEIN. Es sind rund 5 Kilometer demnächst zwischen uns, ein Klacks.
Und deswegen ist dieses Tagebuch auch jetzt noch lange nicht zu Ende. Jetzt beginnt ein neuer, spannender Teil: Wie geht es weiter? Wer sind die neuen Nachbarn? Eine Freundin von mir, die in der Kirchengemeinde dort arbeitet, hat schon angekündigt zu unterstützen. Wir werden – gemeinsam – viele neue Erfahrungen machen…
Und dann noch das! Eine der ersten „Amtshandlungen“ meines Mannes war es, Vera die ersten pinkfarbenen Schuhe zu kaufen. Heute kam das 2. Paar an, das Christoph bestellt hatte. Denn Oksana ist auf der Suche nach Babysandalen in Größe 18.
Voila, nun hat sie welche – und war überglücklich!
Mittwoch, 4.5.22 – News aus Ostfriesland
Gestern war mal wieder Besuch von meiner Seite bei uns – zwei meiner besten Freunde aus Miesbach & Wuppertal. Martin, gebürtig aus Ostfriesland, hat am Wochenende in Aurich ein zusätzliches Bett aufgeschlagen, denn jetzt beherbergt er eine 5-köpfige Flüchtlingsfamilie aus der Ukraine in seinem Elternhaus hoch oben im Norden Deutschlands. Oma, Mutter und drei Kinder, der jüngste Sohn ist gerade 10 Jahre alt. Martin konnte helfen, ihn auch gleich einzuschulen – in die gleiche Grundschule, die Martin selbst vor vielen Jahren besucht hat…
In unserem Kölner Wohnzimmer, in das sich eben auch „Ralli“ einfand (wir drei kennen uns aus Bonner Studienzeiten), haben wir uns ausgetauscht über die Sorgen, Nöte aber auch das kleine Glück ukrainischer Landleute hier bei uns. Martin ist sehr angetan, wie Oksana, Vera & Co bei uns „eingegliedert“ sind.
Aber er hat kein gutes Gefühl, „seine“ fünf Gäste so allein im fremden Haus, in einem fremden Land zu lassen. Soviele Behördengänge, Pässe in anderer Sprache und und und. Ich habe Martin versprochen mich umzuhören, wer vielleicht VOR ORT IN AURICH ein gutes Auge auf die Familie werfen kann. Also, wer das liest hier, bitte bei Martin Reents (oder mir) melden. Велике дякую!
Montag, 2.5.22 – „Die 1. Pizza geht auf mich“
Sonntags ist bei uns oft Fußball angesagt. Als Oksana hört, dass sie mitgehen können, macht sie sich und Vera in Windeseile fertig. Manche Mütter, die ich aus Deutschland kenne, würden dafür Minimum eine Stunde brauchen 🙂 Oksana ist in 15 Minuten ready. Vera findet es auf dem großen Rasen vor dem Platz spannend, v.a. sich am Gitter festzuhalten – und dann kommt auch noch ein dreijähriges Mädchen dazu, perfetto.
Großartig übrigens auch der deutsch-italienische Trainer. Die, die mich kennen, wissen, wie ich für Mario schwärme. Habe ihm bereits 2019 einen Beitrag auf ohfamoos gewidmet, der nach wie vor so passt. Als Mario jetzt hörte, kurz vor den Osterferien, dass unser Sohn auf seine 1. Italien-Reise geht, hat er ihm doch tatsächlich einen Umschlag zugesteckt, in dem es heißt: „Die 1. Pizza geht auf mich.“
Ich glaube, ich muss nicht weiter beschreiben, wie sehr so etwas unter die Haut geht. Mario denkt einfach an alles – wenn jemand in Quarantäne war, hat er ihn besucht und ihm Aufgaben gegeben, um nur ein anderes tolles Beispiel zu nennen. Ja, es gibt sie, die Nächstenliebe, ein schweres Wort, aber es beschreibt die Situation einfach gut. Ich bin gespannt, was wir als Nächstes tun dürfen. Etwas finden, wo man aktiv werden kann, ist ja so einfach, wenn man richtig hinguckt!
Als ich Oksana im Auto auf der Rückfahrt erzähle, dass Paul vermutlich nicht zufrieden sein wird (sie haben verloren, jedoch gegen die 1. Mannschaft in der Tabelle…) ruft Veras Bubuschka an. Oksana gibt meinen Eindruck am Handy weiter. Antwort aus der Ukraine: „Give him chocolate!“ 🙂 Großeltern kennen die einfachsten Mittel einfach immer. Ciao Kakao 🙂
Samstag, 30.4.22 – Bei Babuschka in Wuppertal
Gestern war ein sehr gemischter Tag. Er beginnt damit, dass Oksana mir zwei Videos schickt, die Freunde aus Kiew aufgenommen haben – sie zeigen die Detonation von Raketen mitten in Kiew, denn die ukrainische Hauptstadt war während des Besuchs von UN-Generalsekretär António Guterres beschossen worden. Da sitzt man kurz vor dem Frühstück mit Ukrainerinnen im warmen Haus und sieht das. Unser Sohn fing sofort an zu weinen. Gott sei Dank ist Baby Vera aufgrund ihres Alters überhaupt nicht in der Lage, das Leid zu begreifen.
Abgelenkt haben wir uns in Wuppertal – meine Mutter hat Oksana und Vera zum 1. Mal kennengelernt. „Very very nice Babuschka“, sagt Oksana, als wir zurück nach Köln fahren, den Wagen voll gepackt mit Spenden, u.a. der Zahnärztin meiner Mutter. Vera mochte natürlich vor allem den tollen Garten.
Und am Abend dann wieder eine Nachricht aus Kiew – meine Freundin und TV-Journalistin Nadja Kriewald ist wieder in der Ukraine unterwegs, u.a. berichtet sie mir von einem Interview mit Bürgermeister Vitali Klitschko.
Oksana erkennt sofort die Straße, wo Nadja ihre Aufnahmen gemacht hat. Sie sagt, es seien nur 15 Minuten bis zu ihrer Wohnung… Und wieder dieses Gefühl: Wir sind in Sicherheit, so viele andere nicht…
Donnerstag, 28.4.22 – Bickendorf ist auch dabei
Und wieder so schöne Geschenke. Es reisst nicht ab und es tut immer so gut, nicht an die graue, schreckliche Realität in Kiew zu denken.
Die Hilfsbereitschaft, höre ich von Freunden, sei bei Hilfsorganisationen etwas eingeknickt; bei uns nicht. Nach wie vor klingeln Nachbarn, kommen Pakete meiner Mutter an oder mir sogar unbekannte Menschen wie Waltraud aus Bickendorf bringen Babykleidung vorbei.
Auch Olga (Foto links) freut sich mit Oksana über die hübschen Sachen, die von Herzen kommen. Olga ist ein paar Wochen später mit ihrem 17jährigen Sohn nach Köln gekommen und eine ehemalige Arbeitskollegin von Oksana.
Jetzt haben wir auch das Problemthema Pin Code geknackt, denn die Sparkasse hatte diesen zunächst nicht schicken können bzw. ein „Postrückläufer“, hieß es, sei Ursache für die verspätete Lieferung. Es ist wichtig, dass jede Ukrainerin ihr Konto hat und darüber frei verfügen kann. Und die freundliche Kundenberaterin der Sparkasse Widdersdorf schreibt mir: „Das stimmt, dass alles etwas kompliziert ist, aber nur gemeinsam sind wir stark.“
Dienstag, 26.4.22 –Dortmund gegen Kiew
Und schon wieder schreibe ich über Fußball. Denn als ich heute früh unseren Sohn zur Schule fuhr, hörten wir im Deutschlandfunk: Heute Abend gibt es ein Benefizspiel zwischen Borussia Dortmund und Dynamo Kiew. Da fiel mir als Allererstes natürlich Vitalii ein, Veras Papa in Kiew.
Ich hatte ja schon geschrieben, dass sich mein Mann und eben Vitalii gern via Facetime über das Geschehen auf den grünen Rasen austauschen – heute Abend werde ich persönlich dafür sorgen, dass wir das Spiel sehen werden 🙂 Zumal es eben Benefiz ist und ich kann nur unterstreichen, wozu Schiedsrichter Patrick Ittrich vor dem Spiel aufgerufen hat: Den Krieg in der Ukraine nicht als Normalität zu akzeptieren.
„Lasst Kriege und Unrecht nicht zu einem Dauerrauschen werden. Schaut euch das Spiel an, aber hört den Leuten zu, die morgen etwas sagen möchten“, forderte Ittrich laut sport.de in einem Video auf Twitter.
Und was sagt Vitalii dazu? Ich frage Oksana, ob ihr Mann mir dazu zwei Fragen beantworten würde. Sicher, meint sie und schickt ihm meine Fragen via WhatsApp. Lächelnd sagt sie mir wenige Minuten später: „Elke, Vitalii answered. But very short…“ Wir müssen beide lachen, so richtig hatten wir wohl beide nicht mit Romanen gerechnet 🙂
Also, hier mein Mini-Interview:
Vitalii, wie findest Du es, dass heute Abend dieses Benefizspiel ist?
„Das ist toll. Gut gemacht Jungs. Vielen Dank für Ihre Unterstützung der Ukraine !!!“
Welche Hoffnung verbindest Du mit dem Spiel?
„Sieg, nur Sieg !!!“
Übrigens: Der Erlös des Spiels kommt laut BVB einer Organisation zugute, die Ukrainern in Not hilft. Und sollte der einen oder dem anderen in der WhatsApp-Unterhaltung noch die Frage von Oksana aufgefallen sein, ob Vera das Badezimmer kaufen könne 🙂 Nein, das konnte sie nicht – aber wir hatten wieder einen sehr schönen „Waschtag“, im rosafarbenen Mini Mouse Bademantel, ein Geschenk bulgarischer Nachbarn. Den zeige ich gern ein anderes Mal …
Montag, 25.4.22 – Still und (noch) nicht riesig
Die Osterferien liegen hinter uns, die Schule hat begonnen und der Alltag ist wieder da. Draußen wird alles grüner & bunter, Frankreich wird nicht rechts regiert und der Krieg? Ist immer noch da. Ich erhalte ein Video einer Kölner Freundin, die weiß, wie sehr ich mich für die Kultur und die Menschen in der Ukraine interessiere. Auch Ulrike hat Kontakt mit meinen neuen Freundinnen.
In diesem kurzen Filmbeitrag, den die Kulturzeit auf 3sat zeigt (ab Minute 38.09), geht es um die Schriftstellerin Marjana Gaponenko. Sie, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, dachte wie so viele andere, das Thema Krieg habe sich erledigt. Heute wissen wir, dass es nicht so war.
Sie berichtet von ihrer Großmutter und ihrer Mutter, die „tough“ seien. Beide wollten auch heute nicht von Odessa weggehen. Sie berichtet, wie besessen sie auf gute Nachrichten warte, die jedoch nicht besser würden. Und sie erwähnt ihren „vernichtenden Hass“, den sie erstmals so zu fühlen in der Lage sei und wie dankbar sie ist, dass die Trauer dazugekommen sei. Die Trauer stütze und wärme sie von innen.
Ich empfehle diesen stillen Beitrag, der verdeutlicht, wie sehr die Ukrainer*innen, die neu oder länger schon in Deutschland leben, mitleiden. Aber auch, wie wahnsinnig stolz sie auf ihre Landsleute sind. Marjana Gaponenko fühlt sich „gerührt und gesegnet“ und weiß, wie groß dieses Wort ist. Der Krieg habe sie verwandelt. Und ich denke bei mir, die ja trotz allem eine Outsiderin ist, wie sehr auch mir dieser Wandel auffällt… Er kommt still und er ist nicht riesig, aber Menschen wie Marjana sind keine Ausnahmen, das spüre ich deutlich.
Freitag, 22.4.22 – Sie tun es. Basta.
Ich schreibe das Interview mit den beiden Alisas fertig – denn es gibt neben „meiner“ Alisa in Köln noch die Alisa, die bei meiner Schwester in Frankfurt lebt. Beide Mädels sind fast gleichalt und beide haben die gleichen Fragen über das Gestern, das Heute und die Zukunft beantwortet. Spannend für sie, spannend auch für unsere ohfamoosen Leser*innen.
Dabei lerne ich in einem Telefonat mit der Heimat, welche neuen Pläne existieren. Was für nach vorne strebende Frauen! Ich weiß noch nicht, ob ich alles genauso teile wie sie… aber ich weiß, dass ich beeindruckt bin von soviel Engagement und Aktivität. Viele Mütter wünschen sich das wohl von ihren Kindern. Die Ukrainer*innen ziehen los in die Welt, soviel ist sicher. Sie müssen auch, ja. Aber sie tun es eben. Basta.
Noch bin ich in Italien, wo sich die Welt anders dreht. Auch nicht alles dolce vita, aber doch eine Umdrehung weniger, zumindest je weiter man nach Süden kommt. Apropos Umdrehung, eben kommt ein Nachbar und erkundigt sich, ob wir noch genug vino haben… 🙂 Salute!
Und, ja, Babykleidung gibt es hier natürlich auch…
Dienstag, 19.4.22 – In der italienischen Sonne
Wir halten weiter Kontakt, natürlich. Während ich das kleine Paradies von Angela in Italien bestaune und wir uns viele (!) Geschichten von früher und aus der Gegenwart erzählen, bleibe ich weiter mit meinem Handy und der Heimat verbunden. So erfahre ich zum Beispiel, dass eine schöne Gärtnerin 🙂 unseren Garten bewässert und dass Vera mittlerweile die Babymatratze zumindest nicht mehr kategorisch ablehnt…
Und ich erlebe einmal wieder, wie wertvoll Geschichten sind, derer wir uns erinnern. Von solchen Erinnerungen lese ich auch in den Antworten zweier Mädchen, die ich interviewt habe, um ihre Gefühle während und nach der Flucht aus der Ukraine zu beschreiben. Ich hatte sie gebeten, auf 8 Fragen schriftlich zu antworten, zum Beispiel diese: Gibt es eine kleine Geschichte, die Euch in der Zeit, wo Ihr hier seid, besonders berührt hat? Welche?
Mit der Heimat verbunden
Darüber könnt ihr bald auf ohfamoos lesen, denn das Interview ist noch nicht fertig… Aber klar ist: So sehr ich die italienische Sonne genieße, das Leben hier auf der Straße oder am See, so sehr fühle ich mich auch mit meiner Familie und den neuen Freundinnen verbunden, die nun auf unser Haus in der kölschen Heimat aufpassen.
Ostersonntag, 17.4.22 – Burger der Extraklasse
Heute schreibe ich aus dem Zug. Denn wir haben Osterferien und erstmals habe ich Oksana und Vera nach mehr als 4 (!)
Wochen verlassen… komisches Gefühl. Mein Mann und Sohn sind noch bei ihnen, aber beim Abschied strampelte Vera auf Mamas Arm so lebensfroh, dass ich fast nicht hätte fahren wollen. Aber nur fast 🙂 Zu sehr lockt das schöne Italien und die Aussicht, nach einigen Jahren (!) endlich wieder mit meiner Sch. zusammen zu sein.
So schmecken ukrainische Burger
Als Highlight hat Oksana gestern gebacken & gebraten. Sie hatte erfahren, wie sehr Sohnemann Burger liebt. Da hat sie dann erst die Brötchen gebacken, dann diese unglaublich leckeren, saftigen Hackfleischtürme erstellt. Sogar ming Mann hat die Hefeteile gegessen, was er sonst nie macht. Die Bratbuden mit dem gelben M können einpacken 🙂
Am Tisch habe ich, weil das Fleisch von „meiner“ geliebten Biometzgerei so gut schmeckte, erfahren, wie wenig bekannt eine Umweltaktivistin wie Greta Thunberg ist. Ja, man kennt sie, aber natürlich gibt es in der Ukraine andere Herausforderungen als Natur und happy cows.
Karfreitag, 15.4.22 – So darf das Leben sein
Heute ist Pflanztag – denn die gestern erworbenen Kräuter und Pflanzen wollen ins neue Hochbeet. Das ist ziemlich groß, unser Gärtner hat die Schubkarre sicher 50x hin und hergeschoben, bis der ganze Mutterboden drin war und meine Beute aus dem Gartencenter sieht auf dem Beet spärlich aus.
Der Hammer war: Als ich das „Grünzeug“ shoppte, kam ein Fernsehteam auf uns zu und fragte, ob sie ein Interview machen dürften. Natürlich habe ich damit überhaupt kein Problem. Außerdem liebe ich ja good news 🙂 Abends bei WDR aktuell konnte ich dann auch erzählen, dass wir das Beet sicher auch mit unseren neuen Freundinnen teilen werden, schließlich haben sie Erfahrung. Zumindest Babuschka, denn am nächsten Morgen zeigt mir Oksana Fotos vom Garten ihrer Mutter und läuft mit ihrem Handy durch den Garten, um ihr unser Grün zu zeigen.
Es läuft rund. Ich könnte sagen: Frauen Zauber. (Eingeweihte wissen, was ich meine… und vor allem eine, meine Freundin Yvonne…) Aber es mischen ja nicht nur mein wunderbarer Sohn mit, auch mein Mann ist ein fester Pfeiler im ganzen Konstrukt.
Wir können alle stolz sein, wie es läuft!
Offenherzig hat er die Damen empfangen, ist für sie da und fühlt sich nicht gestört – einige meiner Freundinnen könnten sich das mit ihren Männern eben nicht vorstellen. Also, Chapeau, und: Dass es so läuft, wie es läuft, ist eine Gemeinschaftsleistung. Und auf die können wir alle stolz sein, egal welches Geschlecht, egal welche Nationalität. So darf das Leben sein!
Donnerstag, 14.4.22 – Das kleine Glück
Gestern hatten wir einen lustigen Abend zu sechst: Oksana (und Vera), ihre Freundin Olga, meine Freundin Nicole und unser Sohn. Eigentlich war ich „nur“ mit Nici verabredet, denn wir wollten über das neue, große Hochbeet sprechen, das nun über Ostern an den Start geht bei uns im Garten. Aber dann waren wir doch ein paar mehr 🙂 Wir haben – dem netten Marktverkäufer aus dem Iran sei Dank – leckere Thunfischpaste, eingelegten Zwiebeln und Bohnen getestet, dabei ein Kölsch und eine Flasche Rotwein. Und für Sohnemann Erdbeeren mit Yoghurt. Voila. Mehr braucht es nicht zum kleinen Glück.
Heute steht mein 1. Sozialamtstermin an, denn dorthin begleite ich meine Schützlinge. Ich bin gespannt, wie es wird. Zu hören ist, wie voll es mittlerweile auf diversen Ämtern ist, was ja auch keine Frage ist. Es hilft ungemein, hier mit direkten Durchwahlen zu „operieren“.
Fish & Chips in Widdersdorf
Gestern Mittag hatten wir einen kleineren „Ausflug“ auf dem Programm: Lunchtime mit Fish & Chips. Denn beim Widdersdorfer Verkaufsstand vom Gut Clarenhof steht mittwochs immer ein Food Truck aus Dormagen. Sehr zu empfehlen, gute Qualität, nette Jungs. Vorher vergnügte sich Vera noch im Auto mit Sohnemann 🙂
Dienstag, 12.4.22 – Auf der Ersatzbank
Oft wird gefragt: Und, wie reagiert Euer Sohn auf das neue Leben? Die Antwort ist: Sehr gut. Es gibt wenige Situationen, wo er das Baby nicht nach vorne stellt – im wahrsten Sinne des Wortes. Nur dann, wenn ein richtig gutes Fußballspiel ist (bitte mich nicht fragen, wann genau das ist :-)), ist Vera chancenlos – oder um im Bild zu bleiben: sitzt (bzw. steht) die Süße auf der Ersatzbank. Wir hatten einfach Glück: Die Chemie stimmt. Zwischen uns allen. Natürlich sind wir anders, aber so ähnlich dann doch, dass es klappt.
Abends bin ich aber manchmal von jetzt auf gleich so müde, dass ich auf der Stelle einschlafen könnte. Dann denke ich immer: Ist ja auch kein Wunder. Denn innerlich verarbeiten wir ja alle so viel. Und wenn ich dann den Fehler mache und doch noch eine Fernsehsendung zum Thema Ukraine anschaue – wie gestern Hart aber Fair – kann ich dann doch nicht einschlafen. Zu sehr sind mir die Aussagen von Ralf Fücks oder Alexander Graf Lambsdorff im Kopf und schon sind sie wieder da, die Bilder von Butscha.
Dann versuche ich an die netten Situationen des Tages zu denken, zum Beispiel als wir gestern zur Sparkasse gingen, um nach dem Fortschritt der Kontoeinrichtung zu forschen (gibt es jemanden, bei dem es jemals geklappt hat, dass eine PIN-Nummer rechtzeitig geschickt wurde?? 🙂 ). Da läuft uns eine Katze über den Weg und meine Weggefährten – dieses Mal waren nicht nur „meine“ Oksana und Vera dabei sondern auch „die andere“ Oksana, unsere Freundin und Mutter von Alisa. Und die beiden Frauen diskutieren, wie alt ihre Katzen wurden. 27, ist meine Oksana überzeugt. Ich staune. Ihre Freundin ist sicher: „Ні, кіт дожив до 22 років!“ Also, ich übersetze, „nur“ 22 Jahre. Ich staune immer noch.
Überall Menschen, die lernen, sich erinnern, lachen wollen
Es entscheidet: die Babuschka. Denn sie wird angerufen und weiß sofort, dass es tatsächlich 22 Jahre waren. Das Krasse aber ist, sie sagt das in deutsch! Sie sagt: „Zweiundzwanzig Jahre.“ In diesen Momenten werde ich sehr ruhig – und kann die ganze Welt nicht verstehen. Denn überall leben doch Menschen, die lernen, sich erinnern, lachen wollen. Ob jung oder alt, ob Mensch oder Tier. Wo Häme, gar Krieg keinen Platz haben.
Als wir nach Hause kommen und ich mein Notebook aufschlage, sehe ich den Auftritt unserer – ich muss heute schon schreiben – Ex-Bundesfamilienministerin. Anne Spiegel war nur wenige Monate im Amt. Auch auf meiner Facebookseite wird sich in den folgenden Stunden eine Diskussion ergeben, in der sich Befürworter und Gegner des Rücktritts austauschen. Und selbst unter zivilisierten Menschen wird spürbar: Missgunst und Neid sind auch hier vertreten. Das eigene Hemd ist eben stets das nächste.
Ich bin sehr bei meiner Blogger-Kollegin Sonja Ohly, die unseren gestrigen Beitrag auf ohfamoos mit den Worten begann: „So langsam verliere ich die Geduld mit Deutschland.“ Piano. Erstmal werde ich mich für ein paar Tage in Italien ausruhen…
Montag, 11.4.22 – Смачно!
Gestern habe ich nichts geschrieben und dennoch ist wieder viel passiert. Vor allem musste ich über ein Gespräch mit deutschen Freunden und einem Pärchen, gebürtig aus Minsk, nachdenken. In diesem ging es um die Frage: Tun wir genug? Dass viele in Deutschland viel tun, gar keine Frage. Aber ob die Hilfsbereitschaft wirklich im deutschen Bürgertum angekommen ist und vor allem, wie lange sie dort verbleibt, ist für mich eine offene Frage.
Es ist fantastisch, was einzelne Initiativen tun, bewirken! Die Spendenbereitschaft ist riesig – sie entlastet auch ein wenig davon, wenn man im Alltag nicht mehr tun kann/will. Aber es ist ja gut, wenn es ein Mix ist. Denn das Geld muss ja auch da sein, schon klar. Und was Institutionen wie Ämter, Schulen und auch private Organisationen tun, ist gut.
Der Präsident soll dankbarer sein??
Was ich nur gar nicht vertrage, ist, wenn Menschen meinen, „die Ukrainer“ oder gar ihr Präsident sollten dankbarer sein. Manchmal lese ich davon und auch Stimmen in meinem Bekanntenkreis wurden lauter… Das finde ich perfide: Entweder gebe ich oder ich lasse es. Und schon gar nicht erwarte ich von Menschen, denen das Wasser bis zum Hals steht, Dankbarkeit. Aber das ist ein anderes Thema.
Oksana, Vera und ihren Freunden geht es jedenfalls gut. Soweit ich das beurteilen kann. Die Kleine juchzt oder gluckst weiter laut vor sich hin, und unter uns Frauen hat sich ein sehr schöner Humor entwickelt. Und es wird weiter viel gekocht, besonders gern Chicken. Gegessen wird also definitiv genug. Смачно!
Samstag, 9.4.22 – Das Sofa wird besetzt
Leuten, die uns bewundern, dass wir „so etwas“ machen, sage ich zwei Dinge. Erstens: Machen ist krasser als wollen. Heißt: Wir können doch nicht immer reden, was wir alles Gutes tun wollen, und dann flötend um die Ecke verschwinden. Zweitens: Es kommt so viel zurück. Punkt.
Wir haben jedenfalls viel Spaß, bei allem Leid, was es natürlich gibt. Wenn Oksana mir ein Handy-Video zeigt, dass ihr ein Freund aus Butscha geschickt hat, dann sind wir ohne Worte. Aus der Stadt, wo die Massaker stattfanden. Jemand aus ihrem Freundeskreis betrat genau dort seine Wohnung und fand sie: verwüstet. Sie haben alles auseinandergenommen. Mitgenommen, was ihnen passte. Schlimmer: Sie haben dort gekocht und geschlafen und sogar auf dem Klo und im Bad ihre Sch….. hinterlassen. Einfach wiederwärtig und skrupellos.
Wenden wir uns dem Guten zu – unserem Sofa. Denn das ist nun erstmals seit heute Schlafplatz von Vera geworden. Da sie momentan noch nicht ohne ihre Mutter in den Schlaf findet, war das ein Riesenschritt, dass sie dort wenigstens für kurze Zeit ihre Ruhe fand. Darüber freuen wir uns. Und darüber, dass ihre Freundin und Sohn nun Neu-Widdersdorfer sind. Die Gemeinschaft wächst!
Freitag, 8.4.22 – Risotto schlägt Brokkoli
Diese Nacht war Sturm, Gottlob „nur“ die Natur, die ihre power mal wieder zeigte. Vera lief wohl auch Sturm, Mama Oksana hatte erneut keine gute Nacht. Was aber ist das alles gegen die Stürme weiter östlich?
Gestern berichtete mir ein Mann Ü70, wie er mittlerweile auf seine Krankheiten schaut: Klar, er müsse noch mal operiert werden. Aber das relativiere sich ja alles mit Blick auf. .. So sehen wir das auch und sind weiter froh, etwas tun zu können. Und wenn es nur das ist: Einer Arztpraxis aufzuzeigen, dass man mit einer 16jährigen jungen Frau, die gerade neu in Deutschland ist und eine Fluchtgeschichte hinter sich hat, anders umgeht. Denn Alisa hatte in der Praxis den ihr vom Sozialreferat ausgehändigten Überweisungsschein abgegeben, der aber leider – wir sind im Quartal 2 – nicht mehr gültig war. Anstatt das Mädchen ordentlich zu behandeln, wurde sie weggeschickt. Die Praxis wird von mir hören.
Wenn die Babuschka auf dem Handy erscheint
Während ich schreibe, köchelt in der Küche mein Risotto. Heute war ich früh dran, obwohl auch Oksana schon wieder etwas geköchelt hatte – eine gesunde Suppe für ihr Baby. Und ihre Mutter – ich rufe dann immer „Ah, Babuschka“, wenn sie auf dem Handy erscheint – war parallel auch beim Suppe kochen. Mit Brokkoli. Da hat mein Sohn ja Glück gehabt – dann schon lieber Risotto als dieses grüne gesunde Zeugs 🙂
Donnerstag, 7.4.22 – Mal wieder Krabbelgruppe
Lang, lang ist’s her. Damals saß ich auch auf diversen Teppichböden. In der Mitte brabbelnde kids, wir haben A Ram Sam Sam gesungen und jede Mutter war froh für ein bis zwei Stunden Ablenkung.
Eine solche Krabbelgruppe habe ich heute Oksana und Vera gezeigt. Die evangelische Kirche in unserem Veedel macht u.a. auch engagierte Familienarbeit, Krabbelgruppe inklusive. Drei Babys in fast gleichem Alter machten ihre Bekanntschaft, nach den Osterferien geht es weiter.
Ich habe heute noch superschöne Erinnerungen an „meine“ Krabbelgruppen, und drei Freundinnen aus dieser Zeit sind uns nach wie vor treu.
Für Tränen muss sich niemand entschuldigen
Plus: Wir bereiten uns darauf vor, dass morgen zwei weitere Ukrainer, eine Freundin von Oksana und ihr fast erwachsener Sohn in Köln ankommen werden. Sie erreichen Widdersdorf über Polen. Als ich am Mittag mit einem meiner älteren Chefs aus CDU-Zeiten telefoniere (wir haben ungefähr zur gleichen Zeit Geburtstag und erreichen uns oft erst Tage später), bricht dieser am Telefon in Tränen aus. Ich kann ihn gut verstehen und dafür muss sich niemand entschuldigen. Wir sind alle in Sorge, was aus der Ukraine wird.
Eine Münchner Freundin hat ihre Gedanken kürzlich in meinem Blog ohfamoos kundgetan – tröstende Worte, wenn wir Angst haben oder einmal wieder nicht weiter wissen..
Mittwoch, 6.4.22 – Satt und glücklich
Gestern gab es ein leckeres Reisgericht mit Kurkuma, das Oksana für uns gekocht hat. Ich liebe es, neue Dinge auszuprobieren. Beim Essen erfuhr ich, dass es gar nicht ukrainische Kochkunst sei, sondern ein Gericht aus Usbekistan.
Und siehe da, als ich es recherchiere, finde ich es auch sofort: Usbekischer Plow. Wow, an unserem Esstisch kommt ein Reisgericht aus Mittelasien frisch auf die Teller. Das macht satt und glücklich.
Stillberatung beim Friseur?
Und ich muss immer noch lächeln über das, was ich ein paar Tage schon aufschreiben wollte, aber ehrlich, hier passiert gerade so viel, manchmal muss ich die Erlebnisse horten. Also, ich gehe bei unserem Friseur „umme Ecke“ vorbei, der auf der Fensterscheibe für sich wirbt. Komisch, denke ich, der macht jetzt auch Stillberatung? Sekunden später muss ich lachen, über mich selbst. Denn natürlich steht da nicht Stillberatung! Der Friseur bleibt bei seiner STILberatung… Sachen gibt’s. 🙂
Dienstag, 5.4.22 –Bulle, Stier oder Ochse?
Gestern Abend musste ich mehrfach – beim Vokabelüben mit Alisa – schwer überlegen. Deutsche Sprache, schwere Sprache. Aber auch in Bio hätte ich besser aufpassen müssen, damals 🙂 Heißt die männliche Kuh nun Bulle, Stier oder Ochse?
Und ich war echt stolz auf meine Süßkartoffen-Möhrensuppe. Ich, die noch vor 12 Jahren in München hauptsächlich Sushi bestellte 🙂 Aber diese Suppe schmeckte vor allem auch dem Baby! Das mal nicht nach Hühnerbeinchen rief, sondern mit Appetit die Suppe löffelte, auf dem Schoß von Frau Mama.
Und da ich bald meine liebe Freundin Angela, die wilde Köchin, wiedersehen werde – hier noch ein „geheimes“ Rezept von ihr mit eben jenen Süßkartoffeln, die wir beide so lieben. Nein, das wird Vera nicht essen, aber vielleicht Ihr?
Montag, 4.4.22 – Zuwachs auch im Garten
Nein, diese Woche ist definitiv kein Gartenwetter, doch der Morgen hat in Köln sehr schön sonnig begonnen! Da musste ich doch gleich mal die Gartenstühle zurechtrücken.
Ich bin sicher, das ergibt einen Kommentar aus Hamburg… Denn den grauen und den grünen Stuhl habe ich dort gekauft, bei BeSeaside. Geschrieben habe ich über diese entspannenden Stühle auch schon. Und den Babystuhl haben wir bekommen über das supergute Netzwerk bei uns im Veedel: Widdersdorf hilft. Nachbarschaftshilfe der Extraklasse.
Sonntag, 3.4.22 – Post nach Köln
Das dritte Wochenende mit unseren Gästen geht zuende. Ich muss mich immer noch morgens, wenn ich aufwache, kneifen: Ist das wirklich alles so, wie es ist? Und dann sitzen wir beim Frühstück, die Wohnzimmertür öffnet sich und Mama und Baby kommen rein. Eine glucksende Vera mitsamt Oksana, die von einer Nacht berichtet, die „ok“ war. Ich weiß, was sie damit meint… So toll das 1. Lebensjahr ist, so krass sind doch die Nächte. Und leider werden sie auch noch immer mal wieder heftig sein, die nächsten Wochen.
Frauenverständigung as its best – Post aus Wuppertal
Heute durfte ich ihr eine kleine Überraschung auf den Frühstückstisch legen. Ihre 1. Post. Meine Mutter hatte ihr an unsere Kölner Adresse geschrieben und sie willkommen geheißen sowie nach Wuppertal eingeladen. Frauenverständigung as its best. Und über meinen Vater, den Oksana schon an meinem Geburtstag kennengelernt hat, sagte sie: „He is a cool man.“ Und meinte damit, wie sehr sich Opa für seinen Enkel interessiert, Fußball mit ihm spielt und dass er sich so gut mit dem Iphone auskennt 🙂
Ja, es ist gut zu wissen, wenn Familie funktioniert. Und ich hoffe inständig, dass sich auch alle ukrainische Familien wiederfinden werden, one day!
Samstag, 2.4.22 – Rot-weiss lässt jubeln
Gestern Abend gab es erstmals Borschtsch in unserem Wohnzimmer. Ich gehe freitagsabends, wann immer es geht, zum Yoga. Und während ich mich von Lehrerin Jasmine Casagrande verabschiede, habe ich schon Appetit (nicht unüblich in meiner Familie, wir essen mehr als gern 🙂 ). Früher hatte mein Mann den Tisch „arrangiert“ und den Kühlschrank geräubert. Jetzt erwarten mich eine kalte Platte mit Käse, Schinkenspeck und Salami, daneben Roséwein und natürlich ein Becher Schmand.
„Very important“, sagt Tatjana, der Besuch aus der Landeshauptstadt, die fröhlich serviert. Sie und ihr achtjähriger Sohn werden später Stunden brauchen, um öffentlich zurück nach Düsseldorf zu kommen. Ein Zug war gecancelt, sie erreichen ihr provisorisches Zuhause um zwei Uhr mitten in der Nacht.
Heute ist ein ganz besonderer Tag für unsere Jungs und Männer – sie gehen zu Fortuna Köln. Oksana freut sich am meisten – darüber, welche Freude unser Sohn zum Ausdruck bringt. Er jubelt und meint trocken, da er jetzt ja nicht die FC-Sachen anziehen könne, würde er sich eben schlicht rot-weiß kleiden. Ich mag Kompromisse – und freue mich auf einen ruhigen Nachmittag 🙂
Freitag, 1.4.22 – Ein kleines bisschen Irmi
Heute kommt Besuch. Nicht Freunde von uns, aber eine Freundin von Oksana, die mit Kind aus Düsseldorf vorbeikommen will. Mich freut das sehr, dass sie das macht – zeigt es doch, dass sie unser Haus mehr und mehr annimmt und es selbstverständlicher wird, hier zu leben. Vorher werden wir die kleine Maus bei „unserer“ Kinderärztin vorstellen, denn der Husten will nicht weggehen. Ich muss lächeln, wenn Alisa mir Oksanas Befürchtung übersetzt, ob Vera vielleicht eine Lungenentzündung haben könnte. Es scheint international zu sein, dass sich Mamas zu viel sorgen, denn obwohl ich natürlich keine Ärztin bin, schließe ich das komplett aus. Vera hat vermutlich irgendeinen Infekt, aber apathisch ist anders, kein Fieber usw. Doch es ist sicher gut, einen Spezialisten zu fragen, klar.
Im ersten Babyjahr beim Kinderarzt
Und mir fällt ein, und deshalb lächle ich innerlich, wie oft ich mit unserem Sohn in den ersten Monaten zum Kinderarzt ging. Und der gute Mann gütig zu mir sagte: „Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Tonscheidt, im ersten Babyjahr sieht der Kinderarzt das Baby oft öfter als die Großeltern…!“
Also, bereiten wir uns auf Düsseldorf vor … Ich kenne die Stadt ja gut, nicht nur, dass ich gebürtig aus dem Kreis Mettmann bin. Wir haben dort ja auch 5 Jahre gelebt und Paul hatte dort die beste Kindergartenzeit, die ich mir vorstellen kann. Inklusive einer ganz tollen Tagesmutter, an die ich derzeit auch viel denken muss. Irgendwie bin ich ja gerade auch „so ein klein bisschen Irmi“ 🙂
Donnerstag, 31.3.22 – Heute war Opa da
Heute war also Opa da. Natürlich nicht persönlich, denn gerade ältere Menschen sind ja die besonders Leidtragenden im russisch-ukrainischen Krieg. Aber Opa lachte aus dem Handy und war so überglücklich, sein Enkelkind zu sehen. Und Vera gluckste auch besonders niedlich, ging sogar – an zwei Händen haltend – torkelnd auf ihn zu. „We leave Vera here“, lachte die Mama und der Protest aus der Ukraine war deutlich zu hören 🙂
Momente, wo wir glücklich sind. Solche Momente stellen sich immer öfter ein – z.B. wenn Bryan Adams „Please forgive me“ aus dem Radio singt – und wir mit. Das verbindet ungemein. Und wir lachen gemeinsam, wenn ich ein Babyfoto bekomme, das Vera mit prall gefüllter Windel zeigt und ich zurück frage: „Too much Wodka?“
Nein, wir vergessen den Krieg nicht. Aber wir versuchen gemeinsam, das Beste aus dieser wiedersinnigen Situation zu machen.
Es wird viel gekocht, unser Haus riecht vor allem ab dem Nachmittag nach geröstetem Knoblauch und in der Pfanne brutzelt Oksana etwas Leckeres.
Noch mache ich immer – wie früher, als wir noch alleine waren – eine Abendplanung. Da unser Sohn an vier Tagen in der Schule isst, essen wir abends kalt. Nicht so unsere Gäste! Wie sagte kürzlich eine andere Gastmutter bei Hart aber Fair im WDR? „Wir bekommen jeden Tag etwas leckeres Warmes auf den Tisch“, und sie freute sich sehr darüber. Das tun wir auch und ich denke, das Kochen hilft auch unseren Gästen sich sinnvoll zu beschäftigen. Win Win, nennt man das, oder?
Mittwoch, 30.3.22 – Bald sind es 5 Wochen
Heute beginne ich mein Tagebuch Ukraine. Ich sitze, wie so oft, am frühen Morgen an meinem laptop. Draußen im Garten ein Vogelkonzert der Extraklasse. Der Milchkaffee und die Vogelstimmen wecken auch meine Lebensgeister, denn ich habe so fest geschlafen wie lange nicht. Dabei ist in der Ukraine natürlich nach wie vor Krieg. Und im Morgenradio warnen die Stimmen heute erstmals vor einer dortigen Hungersnot… als wäre die Zerstörung, die schon jetzt angerichtet wurde, nicht schon schlimm genug.
Ich schreibe das, weil der Krieg morgen, am 31. März, fünf Wochen weilt. Und ich merke an mir selbst, wie sich eine Art Gewöhnung an diesen so krassen Zustand breitmacht. Der Mensch gewöhnt sich an alles, heißt es. Auch an Krieg?
Dabei spüren wir hier ja so wenig und wir haben die kleine Vera eben, als wir frühstückten, nur leise krähen gehört, vermutlich weil sie kurz wach wurde. Jetzt ist es in ihrem Zimmer wieder still. Mama und Baby sind hoffentlich wieder eingeschlafen.
Sie erholen sich langsam von den Strapazen, man kann es ihnen ansehen und es freut mich so. Wäre da nicht dieser furchtbare Krieg…
Was ich ansonsten mache? Ich schreibe. Täglich. Nicht immer „nur“ über die Ukraine, aber viel. Hier im Tagebuch Ukraine könnt Ihr mitlesen. Und gerade heute wurde auch mein 1. Artikel über das Leben mit unseren neuen Freunden veröffentlicht:
Ask Alisa! titelt Meine Südstadt.
Ein durch und durch herzerwärmender Bericht. Ein kleiner Lichtblick in dieser traurigen, erschütternden Zeit! Ein Beweis dafür, dass die Menschlichkeit nicht zu Grunde geht! Auch wenn sie diesem Unmenschen Putin verloren gegangen ist!
Danke für dieses schöne Tagebuch, an dem wir als Leser nun teilhaben dürfen!
Liebe Elke,
was für eine tolle Idee Deine Erfahrungen mit Oksana und Vera aufzuschreiben, denn wie schnell vergessen wir doch die kleinen glücklichen Momente.
Deine Erzählungen strahlen so viel Wärme und Freude aus, so dass ich mich sehr für Oksana und Vera freue, dass sie bei Euch gelandet sind. Für sie hoffe ich weiter, dass der Krieg bald beendet sein möge.
Liebe Elke,
erstmal herzlichen Glückwunsch an die kleine Vera. Ein Jahr! Happy Birthday! Was für ein Geschenk, dass sie ihren ersten Jubeltag zwar fernab der Heimat, aber offensichtlich in einem warmherzigen Familienumfeld feiern kann. Wie schön 🙂
Ein ergreifender Bericht, den ich in so vielen Bereichen teilen kann. Hut ab vor eurem bürgerschaftlichen Engagement! Und vielen Dank!
Bei uns im Familienhaus am UKM leben derzeit in 14 Zimmern ebenfalls Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine. Meist Mütter mit ihren Kindern und in manchen Fällen leider auch Familien mit krebskranken Kindern, die im UKM behandelt werden. Wir sind dankbar, dass wir sie unbürokratisch hier haben unterbringen können, dass die Stadt Münster sofort den Großteil der Finanzierung übernommen hat und dass eine Großzahl von Spendern einen Sozialfonds finanziert, der uns weiten Handlungsspielraum ermöglicht.
Am dankbarsten sind wir aber für die Momente des Friedens: Wir haben auch russische Familie im Haus. Es gibt keinen Krieg zwischen unseren Gästen. Sie essen zusammen, sie kochen zusammen und der einzige Papa im Haus spielt mit ukrainischen und russischen Kindern im Garten zusammen Fußball. Ala wäre die Welt in Ordnung, für diesen Moment ist sie das auch. Eine wahre Freude, die wir voller Demut und Dankbarkeit annehmen.
Vielen Dank, liebe Elke, für dein Engagement und deinen offenen Bericht. Weiter so;-)
Herzlichst
Simon